Linguistica

 

Myriam Muhm

Domina

Eine Andere, eine Fremde wie ich - oder doch nicht - hat mich aufgefordert, meine Schreiblust diesmal ins Deutsche zu übertragen, in eine Sprache, die mir fetzenweise näherkommt, mir niemals Ruhe gönnt, weil ich im Voraus weiß: sie wird entgleiten, mich vergessen, und die fertiggestellten Formulierungen werden den Impulsen des Gedächtnisses nicht folgen. Fertiggestellte Formulierungen. Sie werden konsumiert, gekaut, verdaut wie Fast Food, ein Schnellimbiß der Gedanken. Kannst du mir folgen? Weißt du, wovon ich spreche?
In jungen Jahren in diese deine Heimat, unsere Wehmut, gekommen, war der erste Versuch der, dieser deiner Sprache mächtig zu werden, Macht über sie zu erlangen, Domina zu spielen mit Worten und Begriffen eines anderen Stammbaumes. Vor vielen Jahren begann dieses unvollendete Schachspiel und ich lernte, daß ich nicht so formulieren konnte, wie ich es hätte ausdrücken wollen, weil diese deine Sprache es nicht erlaubte, weil sie unflexibler sei, wurde gesagt, als die, mit der ich aufgewachsen war.
Ihre Strenge, ihre Kompromißlosigkeit waren aber unabdingbare Voraussetzung ihrer Klarheit, Voraussetzung für die Transparenz ihrer Begriffe, für die, so schien es mir, ich in der anderen Sprache, lange, allzulange Sätze und Umschreibungen brauchte. Der Schachspieler in mir sammelte Worte, aber nicht mehr in ihrer zerbrechlichen Einsamkeit, sondern er beschäftigte sich von nun an mit Wortgruppen, mit Adjektiven und den ihnen gehorchenden Substantiven; fertiggestellte Formulierungen traten in die Alltäglichkeit meiner Gedanken ein. Dann kam die Zeit; und wie in den uns beiden, mir und dir, vor Jahren vorgelesenen Märchen wurde deine Sprache Gefühl und ich ihr hörig.
Die Wiederkehr ihrer Melodie erzwingend, las ich deine Sprache, las lyrische Ansätze deiner Schriftsteller und Dichter und zollte ihrer Kunst Dankbarkeit.
Ich wurde eines ihrer Opfer, und wie eine billig banale Romanfigur, jung, verliebt, konnte ich ihre Kraft nicht erkennen, die schleichende Kraft, die mit jedem neu erworbenen Wort mich enger einschnürte.
Eng ist sie, so eng, daß der Schmerz, den sie bei bestimmten Worten verursacht, stille Sehnsucht nach der Sprache hervorruft, die man Muttersprache nennt, nach der Sprache, die meine Mutter mir beigebracht hat und die so wie deine aus Lügen besteht.
Ein Lügenkodex, der von Generation zu Generation weitergegeben wird und hauptsächlich dem Überleben dienen soll - deshalb Muttersprache? Ein Sprachkodex, der dann verfeinert wird: Lehrkräfte werden eingesetzt, Belesenheit entsteht, der Wortvorrat vergrößert sich und wird im Konkurrenzkampf gezielt eingesetzt. Es geht ja um Macht.
Die Wortmächtigen denken, sie hätten das Schachspiel gewonnen, den König zwar noch nicht mattgesetzt, der Königin aber, dieser wichtigsten Figur, einen kühnen Streich gespielt. Sie aber, Symbol alles Weiblichen, - erlaube mir die Personifizierung - wird den Trugschluß bestärken, sie wird ihnen, den Machthungrigen, Worte geben, und zwar dem Rhythmus folgend, den Shiva, die Göttin, befiehlt: immer schneller, rascher, immer mehr Worte, um ihnen die Möglichkeit des Nachdenkens zu nehmen.
Sie, die Schachkönigin, die Sprache rächt sich daran, daß man das Weibliche und das Betrügen vereinte, der Lüge den weiblichen Artikel gab. Sie gewinnt die Schachpartie, indem sie den Machtbesessenen Macht über Lügen erteilt., Sie, die Muttersprache, kann ihre Kinder stillen. Deiner Sprache aber bin ich dankbar, ihr folgte ich nicht bedingungslos. Ihr gegenüber wurde ich mißtrauisch, sie war nicht die Sprache meiner Mutter. Du weißt, auch diese Worte sind Teil der Lüge.

Myriam Muhm , Domina, in: Freihändig auf dem Tandem, Costa Hölzl, Luisa; Torrosi, Eleni (Hrsg.), Kiel, Neuer Malik Verlag, 1985, S. 76-77